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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 334 - 03.06.99

Erster Bericht über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland

Wichtigstes Ergebnis

Maßnahmen zur Stärkung des Radverkehrs sind in der Regel relativ schnell realisierbar, effektiv und preiswert. Außerdem sind sie mit verhältnismäßig geringen Betriebs- und Unterhaltungskosten für die Öffentliche Hand verbunden. Gerade Kommunen können mit Leistungen zugunsten des Radverkehrs oft gleiche Mobilitätsanforderungen mit erheblich geringeren Kosten befriedigen als mit Maßnahmen für den Kfz-Verkehr bzw. für den ÖPNV.

Zum Inhalt

Die (neue) Bundesregierung hat im März 1999 den Ersten Bericht über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Dieser geht auf einen Beschluss des Bundestages von 1994 zurück. Fünf Jahre hat sich die (alte) Regierung also Zeit gelassen. Aber nun liegt der Bericht vor.

Der Bericht bestätigt: Das Fahrrad ist hauptsächlich ein Verkehrsmittel für den Alltagsverkehr. Über 60% aller Radfahrten sind Alltagsfahrten. Und auch die Verkehrsleistung ist werktags wesentlich höher als an Samstagen oder Sonntagen. Wenn Politiker das gern benutzte Bild pflegen, wonach das Fahrrad im wesentlichen dazu genutzt würde, am Sonntag einen Ausflug ins Grüne zu machen, ist das völlig realitätsfern. Selbst wenn diese Politiker dann den von ihnen wahrgenommenen (Freizeit-)Radverkehr ernst nehmen, arbeiten sie folglich an den Bedürfnissen der meisten Radfahrer vorbei: Im Alltag mit dem Rad zügig von A nach B zu kommen, erfordert anderes als ein gelungener Ausflug ins Grüne.

Das Verlagerungspotential ist noch sehr groß. Insbesondere kurze Kfz-Fahrten können statt dessen oft auch ebenso gut mit dem Rad erledigt werden. Immerhin sind über 40% der Pkw-Fahrten maximal 5km lang und etwa 50% maximal 6km lang. 6% aller Pkw-Fahrten sind gar kürzer als 1km. Etwa 30% der gesamten Pkw-Fahrten in Ballungsgebieten lassen sich nach den Expertenschätzungen ohne weiteres auf das Fahrrad verlagern.

Der Bericht bestätigt auch, dass mit dem Radverkehr gleiche Mobilitätsanforderungen bei geringeren Investitions- und Betriebskosten als mit dem Kfz-Verkehr befriedigt werden können. Die Investitionskosten für Radverkehrsanlagen lägen bei etwa 10-20% der Kosten für gleich lange Kfz- bzw. ÖV-Anlagen. Insbesondere für Kommunen ergäben sich daraus interessante Perspektiven für drastische Kostenreduzierungen. Radverkehrsförderung rechnet sich also in Mark und Pfennig und muss damit in Zeiten leerer Kassen oberstes Ziel kommunalen Handelns sein. Wird von Politikern beklagt, dass Radverkehrsförderung viel Geld koste und man sich das in Zeiten leerer Kassen leider nicht leisten könne, ist das eine unzutreffende Annahme. Gerade durch Radverkehrsförderung kann außerordentlich viel Geld gespart werden, welches sonst in Straßenbau und ÖV-Förderung gesteckt wird.

Der volkswirtschaftliche Nutzen der Fahrradförderung lässt sich jedoch noch nicht genau benennen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, ein noch besser abgesicherter Erkenntnisstand über diesen Nutzen würde verstärkte Aktivitäten in der Radverkehrsförderung hervorrufen. Praktikable Verfahren zur verkehrssystemübergreifenden Bewertung der Nutzen von Maßnahmen für den Kfz-Verkehr, den ÖV und den Radverkehr würden den Kommunen "strategische" Entscheidungen zugunsten des Radverkehrs erleichtern.

Ein weiterer wichtiger gesellschaftlicher Nutzen des Radfahrens liegt in der Steigerung stadt- und straßenräumlicher Qualitäten. Die Lärm- und Abgasfreiheit des Fahrrads tragen zusammen mit seinem geringen Flächenbedarf wesentlich zur Aufwertung des öffentlichen Raumes bei und verbessern damit die Lebensqualität in den Städten. Jedenfalls in Innenstädten ermöglicht die Substitution nicht notwendigen Autoverkehrs durch Radverkehr einen leichteren Zugang (Erreichbarkeit mit allen Verkehrsmitteln) und beschränkungsfreieren Aufenthalt.

Der Bericht nutzt auch umfassend die Erkenntnisse der Verkehrsplanung. Statt Radverkehrsförderung mit Radwegebau zu verwechseln, wird ein umfassendes Bild gezeichnet. Dazu gehören etwa auch die Verknüpfung des Radverkehrs mit dem ÖV, Öffentlichkeitsarbeit, bauordnungsrechtliche Bestimmungen und nicht zuletzt die Förderung privatwirtschaftlicher Serviceangebote. Selbst die bauliche Infrastruktur erschöpft sich nicht in Radwegen. Denn Wegweisung und Abstellanlagen für Radfahrer gehören ebenso zu einer fahrradfreundlichen Infrastruktur, wie Vermietstationen für Räder, Anhänger und Kindersitze. Selbst die Gleichsetzung von Radverkehrsanlage mit Radweg ist völlig falsch. Der meiste Radverkehr wird auf Straßen ohne Radweg abgewickelt. Demzufolge versteht der Bericht unter "Radverkehrsanlage" alle Führungsmöglichkeiten für den Radverkehr. Radwegebau ist nur ein kleiner Mosaikstein einer Radverkehrsförderung.

Der Bericht benennt einen großen Handlungsbedarf. Unterschieden wird dabei in (mögliche) Aktivitäten des Bundes, der Länder, der Landkreise und Kommunen und die von Interessenverbänden. Der Bericht benennt nicht nur viele gute Gründe für das Radfahren, sondern auch viele gute Gründe für die Radverkehrsförderung. Den Handlungsträgern, die für die aufgezeigten Ideen Geld ausgeben sollen, werden ihre Vorteile aus der Radverkehrsförderung aufgezeigt. Der Bericht erweist sich damit als Steinbruch guter Argumente pro Rad und pro Radverkehrsförderung.

Der Bericht versucht auch nicht nur, die Zuständigkeit auf "die Anderen" abzuwälzen. Die eigenen Aufgabenfelder des Bundes lägen insbesondere in der Verbesserung des Verkehrsrechts, der Finanzierung, der Öffentlichkeitsarbeit und der Wissensvermittlung. Diese Möglichkeiten seien bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Da stellt sich nun die Frage, wann sie denn umgesetzt werden. An einer Stelle gibt der Bericht sofort die Antwort: Berichtet wird zwar korrekt, dass der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund einer innerörtlichen Regelhöchstgeschwindigkeit von 30km/h besondere Bedeutung beimessen. Aber: "Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht", heißt es im nächsten Satz des Berichtes knapp und ohne jede Begründung. Im Koalitionsvertrag ist jedoch das Gegenteil zu lesen - nämlich, man wolle diese langjährige Forderung des Städtetages aus Verkehrssicherheitsgründen umsetzen.

Untersuchung

Erster Bericht über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 1998, Bonn im März 1999, 128 Seiten, kostenlos beim BMVBW

Bezug

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Postfach 200100, 53170 Bonn, Tel. 0228 / 300-0, Fax: 0228 / 300-3428 und 300-3429. Der Bericht steht auch im Internet unter "http://www.bmvbw.de" als "Fahrradverkehrsbericht" unter "Verkehr" zur Verfügung.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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