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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 329 - Jan. 99

Dankmar Alrutz u.a.: Bewertung der Attraktivität von Radverkehrsanlagen

Objektive Verkehrssicherheit reicht nicht aus - Radverkehrsanlagen müssen auch attraktiv sein

Wichtigstes Ergebnis

Entscheidungen für bestimmte Radverkehrsanlagen lassen sich objektivieren. Sie müssen nicht nur von den subjektiven Vorlieben der Planer und Politiker und der lautesten Lobby abhängig sein. Sowohl nutzerbezogene als auch betreiberbezogene Kriterien lassen sich in Rastern ausdrücken und gewichten.

Zum Inhalt

Bisher liegen nur für einzelne Kriterien und Merkmale von Radverkehrsanlagen Erkenntnisse vor, wie Radfahrer als Nutzer deren Attraktivität sehen. Wie sich die Wirkung vieler verschiedener Merkmale - die vielleicht teils für, teils wider die Attraktivität sprechen - addiert oder aufhebt, ist bisher nicht untersucht. Auch können für die Kommunen als Betreiber von Radverkehrsanlagen verschiedene Kriterien der Attraktivität unterschiedlich hohe Bedeutung haben, deren Einstufung wiederum von der Sicht der Radfahrer wie auch von der Einstufung von Interessengruppen abweichen kann, die in vielen Städten die Radverkehrsplanung begleiten (ADFC, VCD, BUND u.a.). Daher steht den Kommunen kein Verfahren zur Verfügung, mit dem sie verschiedene Radverkehrsanlagen schon in der Planung zielgenau auch bezüglich ihrer Attraktivität bewerten können. Das ist schon deshalb misslich, weil attraktive Radverkehrsanlagen die Nutzung des Fahrrades als Verkehrsmittel fördern. Bedarfsermittlungen, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und Qualitätsbewertungen (ohne Einbeziehung der Attraktivität), wie es sie schon mancherorts gibt, reichen hierfür nicht.

Die Autoren unternehmen es nun, ein solches Verfahren zur Bewertung von Planungen zu entwickeln. Sie wollen im Vorhinein wissen, ob eine geplante Radverkehrsanlage nach dem Bau für Radfahrer auch attraktiv ist. Die Bewertung von Maßnahmevarianten erlaubt es, die günstigste herauszufinden und diese dann zu bauen. Die Bewertung einer so gefundenen Einzelmaßnahme ist jedoch nur ein Zwischenschritt. Im nächsten Schritt soll das Verfahren dazu dienen, unter mehreren anstehenden Maßnahmen zu priorisieren. Das Verfahren erlaubt damit den kommunalen Planern, die Maßnahme(n) als nächste zu bauen, die - gemessen an vorgegeben Parametern - die wichtigste ist und nicht diejenige, für die sich die lautesten Lobbyisten stark machen oder die den Verkehrspolitikern und -planern am meisten am Herzen liegt. Das Verfahren ist damit ein wesentlicher Schritt zur Objektivierung von Auswahlentscheidungen.

Die Autoren unterscheiden zwischen nutzerbezogenen Kriterien (die für Radfahrer relevanten) und betreiberbezogene Kriterien (die für die Kommunen relevanten). Um die nutzerrelevanten Kriterien herauszufinden und zu gewichten, greifen die Autoren inhaltlich auf die Merkmale zurück, welche die Attraktivität bestimmen.

Das sind nach ihrer Ansicht im wesentlichen Fahrkomfort, subjektive Sicherheit, Lärmbelastung, soziale Sicherheit und Aspekte des städtebaulichen Umfeldes. Weiter gehören dazu u.a. die Umwegfreiheit, fehlende Abgasbelastungen, die Übersichtlichkeit der Verkehrsführung, die nächtliche Ausleuchtung, die Blendgefahr durch andere, die möglichst geringe Zahl von Fahrtunterbrechungen, geschwindigkeitsreduzierende Maßnahmen für den Kfz-Verkehr.

Der Autoren beziehen Interviews mit etwa 1.500 Radfahrern, Gruppendiskussionen und Planspiele ein. Dadurch haben sie die Häufigkeit der Merkmalswahrnehmung und ihre Bewertung durch die Radfahrer ermittelt. Die Interviews fanden direkt draußen auf der Straße statt. Die Untersuchungsabschnitte wiesen absichtlich teils ein anlagebedingt hohes Behinderungspotential auf (u.a. durch Fußgänger, andere Radfahrer und Kfz), teils ein anlagebedingt niedriges Behinderungspotential. Auch geschwindigkeitsgedämpfte Abschnitte und selbständig geführte Radwege wurden einbezogen. Unterscheiden lassen sich - so die Autoren - verschiedene Ebenen. Manche Merkmale werden gar nicht erst wahrgenommen. Wahrgenommene Merkmale werden dann unterschiedlich bewertet und letztlich variiert die relative Bedeutung gegenüber den anderen wahrgenommenen Merkmalen.

Betreiberbezogene Kriterien sind nach Ansicht der Autoren im Wesentlichen Netzfunktion, objektive Verkehrssicherheit, die Straßenraumverträglichkeit und die Wirtschaftlichkeit der geplanten Maßnahmen. Sie bilden nicht den Schwerpunkt des Verfahrens, dürfen jedoch schon deswegen nicht vernachlässigt werden, weil - wie die Autoren feststellten - Radfahrer oftmals nach ihrem Gefühl der subjektiven Sicherheit Anlagen präferieren, die objektiv nicht verkehrssicher sind.

Die Autoren schlagen Kriterienkataloge vor, welche die Attraktivitätskriterien beinhalten. Diese Kataloge sollen mit ihren Gewichtungen auf künftige Radverkehrsplanungen angewandt werden. Die Praxistauglichkeit sei im Rahmen der Untersuchung schon bestätigt worden, meinen die Autoren. Insbesondere sei der Aufwand im Interesse einer praktikablen Anwendung durch die Kommunen begrenzt. Letztlich soll das Verfahren bestehende Regelwerke und Entwurfsempfehlungen ergänzen.

Ganz besonders widmen sich die Autoren dann der Anwendung ihrer Methode auf die jüngeren Elemente der Radverkehrsinfrastruktur Fahrradstraßen und markierte Streifen. Denn jedenfalls für sie gibt es trotz verschiedener Vorarbeiten, die verschiedene Merkmale der Attraktivität von Radverkehrsanlagen untersuchten, noch keine hinreichende Einschätzung ihrer Attraktivität. Die Trennung vom Kfz-Verkehr ist für viele Radfahrer ein wichtiges Attraktivitätsmerkmal und wird - so das Ergebnis der Autoren - tendentiell schon bei deutlich niedrigeren Verkehrsstärken gewünscht, als aktuelle Entwurfsempfehlungen zur Radverkehrsführung vorsehen.

Untersuchung

Dankmar Alrutz, Wolfgang Bohle, Elke Willhaus u.a.: Bewertung der Attraktivität von Radverkehrsanlagen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik Heft V56, Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft, 102 Seiten, Bremerhaven 1998, ISBN 3-89701-232-4, 30,50 DM

Bezug

Wirtschaftverlag NW, Postfach 101110, 27511 Bremerhaven, Tel.: 0471/94544-0, Fax: 0471/ 9454477


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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