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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 327 - 20.12.98

Wilhelm Angenendt, Markus Wilken: Gehwege mit Benutzungsmöglichkeiten für Radfahrer

Verlagerung des Platzkampfes der Verkehrsteilnehmer von der Fahrbahn auf den Gehweg

Wichtigstes Ergebnis

Besonders auf sehr schmalen Gehwegen, die für Radfahrer freigegeben werden, begegnen Fußgänger und Radfahrer einander auf dem Gehweg mit geringem Abstand. Auf der anderen Seite werden Radfahrer, die trotz Gehwegfreigabe die Fahrbahn nutzen, oft von sehr schnellen Kfz sehr dicht überholt

Zum Inhalt

In den Jahren 1993/1994 wurden 26 Fallbeispiele in 20 Städten und Orten in den alten Bundesländern untersucht, vor allem im nördlichen Teil: Davon waren 15 Beispiele Gehweg / Radfahrer frei (Z 239 StVO mit Z 1022-10 StVO), 5 gemeinsamer Geh- und Radweg (Z 240 StVO), und bei 6 Beispielen wurde der Radverkehr im Mischverkehr auf der Fahrbahn geführt, ohne daß der Gehweg freigegeben wurde. Durchgeführt wurden Beobachtungen, Befragungen von FußgängerInnen und RadfahrerInnen und ergänzende Unfallanalysen.

Bei der Regelung "Gehweg / Radfahrer frei" fuhren 81,2% der RadfahrerInnen auf dem Gehweg, wobei folgende Bedingungen einen Einfluß hatten:

- Fast ein Viertel der RadfahrerInnen, die den Gehweg nutzten, fuhren auf der linken Straßenseite, vor allem in Straßen, in denen die Ziele der Radfahrer/innen auf einer Seite lagen.

- Radfahrerinnen nutzten den Gehweg mehr als männliche Radfahrer, junge und ältere RadfahrerInnen mehr als die mittleren Altersgruppen.

- Zwischen der Stärke des Kfz-Verkehrs und dem Wege-Wahlverhalten der RadfahrerInnen zeigten sich nur geringe Zusammenhänge: Gehwege an Straßen mit Belastungen unter 10.000 Kfz/Tag wurden weniger befahren. An Straßen mit deutlich überhöhten Kfz-Geschwindigkeiten oder auch bei einem starken Schwerlastverkehranteil wurde verstärkt auf dem Gehweg gefahren.

- Hohe Nutzung der Gehwege durch FußgängerInnen und Mängel der Oberflächenbeschaffenheit der Gehwege sowie unzureichende Bordsteinabsenkungen führten zu einer geringeren Nutzung des Gehwegs.

Die Art der Regelung hat einen nur geringen Effekt auf die Geschwindigkeit der RadfahrerInnen:

- Die Durchschnittsgeschwindigkeit der RadfahrerInnen auf freigegebenen Gehwegen betrug im Mittel 14,4 km/h (von 11,6 km/h bis 17,3 km/h an den verschiedenen Orten). 15% aller RadfahrerInnen fuhren auf dem Gehweg schneller als 17,8 km/h, knapp 7% schneller als 20 km/h, knapp 8% langsamer als 10 km/h.

- Im Interaktionsfall mit FußgängerInnen fuhren die RadfahrerInnen auf freigegebenen Gehwegen nur unwesentlich langsamer als ohne Interaktion: Hier lag die mittlere Geschwindigkeit bei 13,6 km/h (gegenüber 14,9 km/h ohne Interaktion), die 85%-Geschwindigkeit 16,9 km/h (gegenüber 18,3 km/h ohne Interaktion). Auch in Straßen mit mehr Fußgängerverkehr paßten die RadfahrerInnen ihre Geschwindigkeit nur wenig an.

- Die mittleren Geschwindigkeiten bei den Regelungen "gemeinsamer Geh- und Radweg" (14,1 km/h) und von "Fahrbahnführung ohne Gehwegfreigabe" (16,5 km/h) unterschieden sich nur wenig von der mittleren Geschwindigkeit bei der Regelung "Gehweg, Radfahrer frei"; die Unterschiede führen die Autoren vor allem auf die Teilnehmerstruktur zurück. Die RadfahrerInnen, die bei freigegebenem Gehweg die Fahrbahn nutzen, fuhren im Mittel etwas schneller als die auf dem Gehweg (18,1 km/h gegenüber 17,0 km/h).

Interaktionen

- Gehwege, die breiter als 2,50 m sind, wurden bevorzugt rechts von FußgängerInnen und links von RadfahrerInnen genutzt. Im Interaktionsfall verstärkten sich diese Richtungstendenzen.

- Bei den meisten Interaktionen fuhren RadfahrerInnen an gehenden oder stehenden FußgängerInnen vorbei. Abhängig vom Nutzungsdruck reichten die mittleren Abstände von 1,17 m bis hinunter zu 0,55 m; im Mittel betrug der Seitenabstand 0,94 m. Der Seitenabstand von 0,5 m wurde von 14% der RadfahrerInnen unterschritten. 5,5% der Interaktionen wurden als kritisch eingestuft, wobei sich diese Konflikte auf wenige Straßen konzentrierten, wo enger Raum intensiv von RadfahrerInnen und FußgängerInnen genutzt wurde.

- Die Autoren schließen aus den Interaktionen auf der Fahrbahn auf eine geringe Bereitschaft der KraftfahrerInnen, diese RadfahrerInnen auf der Fahrbahn in angemessener Form zu tolerieren.

- Bei der Fahrbahnführung des Radverkehrs im Mischverkehr ohne Gehwegfreigabe kam es in einigen Fallbeispielen gehäuft zu Konflikten, und zwar vor allem auf stark vom Kfz-Verkehr belastetet Straßen mit überhöhten Kfz-Geschwindigkeiten: Kfz fuhren zu schnell und sehr nah an RadfahrerInnen vorbei. Hier nutzten etwa 60% der RadfahrerInnen illegal den Gehweg.

Ansicht der FußgängerInnen und RadfahrerInnen über die gemeinsamen Führungen:

- 24% der 941 befragten FußgängerInnen fühlten sich durch RadfahrerInnen auf dem freigegebenen Gehweg gefährdet oder beeinträchtigt, 13% von Fall zu Fall, 63% fühlten sich gar nicht gefährdet.

- Bei hohem Nutzungsdruck, geringer Gehwegbreite und hoher Frequentierung fühlten sich FußgängerInnen eher gefährdet.

- Frauen fühlten sich stärker beeinträchtigt als Männer, von den über 65jährigen fühlten sich 49% gefährdet oder beeinträchtigt.

- Zwei Drittel der 674 befragten RadfahrerInnen nannten die Situation der Fahrbahn als Grund für die Gehwegnutzung; als problematisch auf den Straßen bezeichneten sie vor allem die Menge des Kfz-Verkehrs, unzureichende Abstände, überhöhte Kfz-Geschwindigkeiten und den Lkw-Verkehr. Manche RadfahrerInnen wollen bestimmte Ziele erreichen, manche halten die Gehwege für benutzungspflichtig. Die Verhaltensnotwendigkeiten bei der Regelung "Gehweg /Radfahrer frei" waren nur 23% der RadfahrerInnen bekannt.

Unfälle

- Von 83 Unfällen mit Radfahrerbeteiligung ereigneten sich mehr als zwei Drittel beim Abbiegen, Einbiegen, Kreuzen im Bereich von Einmündungen und Grundstückszufahrten. Die Unfalldaten lassen keine höhere Unfallgefährdung der RadfahrerInnen, die auf der Fahrbahn fahren, erkennen.

Quelle

Wilhelm Angenendt, Markus Wilken: Gehwege mit Benutzungsmöglichkeiten für Radfahrer, Bonn, 1997. Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Verkehr und der Forschungsgesellschaft für Straßenwesen e. V. Schriftenreihe Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 737.

Bezug

Typo-Druck & Verlagsgesellschaft mbH, Rosenthalstr. 44, 53111 Bonn, Fax 0228 - 65 09 06. DM 112,--.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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