ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 325 - 13.11.1998

Michael Thiesies: Mobilitätsmanagement

Handlungsstrategie zur Verwirklichung umweltschonender Verkehrskonzepte

Wichtigstes Ergebnis

Eine umfassende Lösung der Verkehrsprobleme im Personenverkehr ist nur zu erreichen, wenn die Gesamtkonzeption alle verkehrsrelevanten Bereiche erfasst. Bisher zur Verminderung des motorisierten Individualverkehrs getroffene Maßnahmen, die diesen Grundsatz nicht berücksichtigten, blieben nur Stückwerk. "Mobilitätsmanagement" ist eine geeignete Handlungsstrategie.

Zum Inhalt

Der Autor zeigt dies anhand der vier Problembereiche auf, denen er sich zuwendet: Der große Bedarf an Verkehrsfläche, die hohen Immissionsbelastungen, die Zahl und Schwere von Verkehrsunfällen und ein lückenhaftes ÖV-Angebot in Zeiten und Räumen schwacher Nachfrage. Alle diese Problembereiche will er mit seinem Mobilitätsmanagement-Konzept lösen. Sodann befasst er sich mit den verschiedenen Arten der Mobilität, ihren Ursachen und Auswirkungen, um bisher vorhandene Lösungsstrategien zur Verminderung der Verkehrsproblematik auf ihre Eignung zu überprüfen. Daraus leitet er die Ziele des Mobilitätsmanagements und Aufgabenfelder ab, die bisher nicht oder nur unzureichend abgedeckt sind.

Mobilitätszentralen müssen anders als konventionelle Auskunftsstellen öffentlicher Verkehrsunternehmen umfassende Informationen über alle vor Ort zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel geben, um eine "intelligente Verkehrsmittelwahl" des nachfragenden Bürgers zu ermöglichen. Mobilitätsberater wenden sich als Außendienstmitarbeiter (etwa der Mobilitätszentralen) an Verkehrserzeuger wie Betriebe, Behörden, Bildungseinrichtungen, Veranstalter und Freizeiteinrichtungen. Ein zusätzlicher Aufgabenbereich ist die Öffentlichkeitsarbeit. Mobilitätsbeauftragte sorgen für die erforderliche verwaltungsinterne Koordination und den ständigen Kontakt zu externen Dienststellen, um das wenig zielführende Ressort- und Zuständigkeitsdenken auszugleichen und Verkehrs(planungs)fragen zu lösen.

Mobilitätskoodinatoren sollten innerbetrieblich für die Mobilität der Arbeitnehmer sowie für eine umweltverträgliche und sichere Verkehrsabwicklung des Betriebes Sorge tragen. Neben dem Mobilitätsverhalten (Verkehrsmittelwahlverhalten) sollte auch das Fahrverhalten beeinflusst werden. Verkehrssicherheitsberater sollen das Bewusstsein für die Geschwindigkeitswahl, das Abstands- und Überholverhalten sowie die Einhaltung von Vorschriften einüben helfen. Mobilitätsvereine wie der ADFC, Fahrgastinitiativen, Bürgerbusinitiativen und sonstige Institutionen sollten - so der Verfasser - mit ihren Fähigkeiten und breiten Aktivitäten genutzt werden. Mobilitätsmanager sind in leitender Position innerhalb der kommunalen Gebietskörperschaft dafür verantwortlich, die Einzelaktivitäten zu steuern und zu integrieren.

Aus diesen Aufgabenfeldern ergibt sich ein umfassendes Konzept mit vielen notwendigen oder jedenfalls sinnvollen Einzelheiten. Die Komplexität der Mobilitätsbedürfnisse mache ein effizienteres Zusammenwirken als bisher aller in diesem Bereich tätigen Institutionen notwendig. Das bedinge neue, flexible Organisationsformen und Entscheidungsstrukturen. Insbesondere empfiehlt der Verfasser statt des klassischen Planungsprozesses, an dessen Ende eine (womöglich längst von der Zeit überholte) Entscheidung steht, eine Kommunizierende Planung und Umsetzung. Dabei handelt es sich um einen Planungsprozess, der nicht endet, dafür aber auch schon umsetzungsreife Teillösungen abschnittsweise und zügig umsetzt und einer ständigen Fortschreibung zugänglich ist. Grundkonzeptionen für die Verkehrsarten Fußgänger, Fahrrad, ÖPNV, MIV und Güterverkehr werden in diesem Planungsmodell in einer Planungsphase, einer Detaillierungsphase, einer Realisierungsphase, einer Anpassungsphase und einer Systempflege- und Fortschreibungsphase entwickelt und verwirklicht.

Für Regionen, in denen es bislang an effektiv arbeitenden Entscheidungsebenen in der Verwaltung und bei den ÖPNV-Betreibern fehlt, schlägt der Verfasser die Gründung von Verkehrsmanagement-Gesellschaften vor. Sie sollen für den ÖPNV und den Individualverkehr verantwortlich zeichnen. Neben der Betriebsführung und Planung eines lokalen ÖV-Systems ist ihre Aufgabe auch die Parkraumbewirtschaftung, die Planung und Umsetzung von Radverkehrsanlagen sowie das Betreiben eines Verkehrsmarketings. Innerhalb des Aufgabenspektrums einer Verkehrsmanagement-Gesellschaft macht der ÖPNV nur einen Teilaspekt aus, deswegen wird und soll die jeweilige Stadt den Hauptanteil des Stammkapitals der Gesellschaft halten.

Der Autor zeigt auch Wege zur Einführung und Finanzierung auf: Mobilitätsmanagement kann schrittweise eingeführt werden. Bedingung für ein dauerhaftes Gelingen sei aber ein breiter Konsens zwischen allen politischen Parteien, weil die Weiterentwicklung sonst beim Wechsel der politischen Mehrheit in Gefahr ist. Das Mobilitätsmanagement-Konzept lässt sich in wesentlichen Bereichen ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand einführen, meint der Verfasser. Es setze auf die Nutzung bereits bestehender Infrastrukturen durch eine veränderte Zuordnung der Aufgaben, vorhandene Personalkapazitäten werden umgeschichtet. Auch empfehle sich eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, um die Akzeptanz gerade bei politischen Entscheidungsträgern zu verbessern. In einer solchen Gesamtrechnung sollte dem gesamten Aufwand nicht nur der gesamte unmittelbare Ertrag, sondern auch neue Einnahmen und die Minderaufwendungen gegenübergestellt werden. Minderaufwendungen ergeben sich etwa durch nicht oder erst später durchzuführende Maßnahmen der Verkehrsinfrastruktur einschließlich Kapitaldienst, Betriebs- und Unterhaltskosten. Zur Transparenz trage auch ein eigener Haushalt für den Bereich "Verkehr" bei, in den u.a. auch Bußgelder, Mieten, Gebühren, Einnahmen der Zulassungsstelle und Stellplatzablösesummen eingestellt werden.

Die Realisierbarkeit des Konzeptes versucht der Autor an Anwendungsbeispielen bereits praktizierter Bereiche des Mobilitätsmangagements darzustellen. Allerdings beinhalten die aufgezeigten Beispiele - die Einrichtung eines Freizeit-Verkehrsdienstes im Landkreis Cochem-Zell, eines Bürgerbusses in Langenberg und eines Zustelldienstes in Wuppertal - gerade nicht die vom Autoren geforderte Vielfalt des Aufgabenspektrums. Sie sind zwar Beispiel mehr oder minder funktionierenden Mobilitätsmanagements in dem Sinne, dass die anfallenden Aufgaben auf verschiedene Träger verteilt worden sind und eine zentrale Koordination erfolgte. An der Einbindung aller verkehrsrelevanten Bereiche fehlte es jedoch, ebenso am notwendigen politischen Marketing. Sie bleiben damit an den Ansprüchen des Mobilitätsmanagements-Konzepts des Autors gemessen lediglich isolierte Einzelprojekte, Stückwerk.

Untersuchung

Michael Thiesies: Mobilitätsmanagement. Handlungsstrategie zur Verwirklichung umweltschonender Verkehrskonzepte, Erich Schmidt Verlag, Schriftenreihe für Verkehr und Technik, Band 86, 111 Seiten, 49,80 DM, Bielefeld 1998, ISBN 3 503 04147 8


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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