ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 321 - 18.9.1998

Dieter Apel u.a.: Kompakt, mobil, urban: Stadtentwicklungskonzepte zur Verkehrsvermeidung

Moderne Raumplanung tut not!

Wichtigstes Ergebnis

Der motorisierte Individualverkehr ist der wichtigste Grund für die Ausdehnung unserer Städte ins Umland. Diese Siedlungsentwicklung (Zersiedelung) erzeugt wiederum zunehmenden Verkehrsbedarf und steigende Abhängigkeit vom privaten Automobil. So entsteht eine Siedlungsflächen- und Verkehrswachstumsspirale, die sich immer weiter dreht. Doch es gibt Abhilfemöglichkeiten durch moderne Raumplanung.

Zum Inhalt

Zunehmender Autoverkehr gefährdet unsere Lebensressourcen (Fläche, Boden, Energie), bringt Unfallgefahren mit sich, schmälert die Lebensqualität (Barrierenbildung in Stadt und Land) und belastet die Umwelt (Schadstoffe, Lärm). Die Studie sucht raumplanerische Problemlösungen, also Konzepte für die Entwicklung von Siedlungsstrukturen, die zumindest ein weiteres Verkehrswachstum vermeiden. Denn technische Innovationen an Fahrzeugen und eine Förderung weniger problematischer Verkehrsmittel genügen nicht, so meinen die Autoren. Die Fahrradnutzung wird nicht als Problemlöser betrachtet, sondern als Nebenprodukt und Gewinner der raumplanerischen Lösung. Die wichtigsten Fragen, die mit der Studie beantwortet werden sollten, lauten: Wie sieht eine Siedlungsstruktur aus, die weniger Kfz-Verkehr induziert als andere? Welches Konzept reduziert Verkehrserfordernisse? Die Studie untersucht dafür verschiedene europäische und amerikanische städtische Strukturen, bei denen Ansätze zur Verkehrsvermeidung vorliegen und sucht daraus Erkenntnisse abzuleiten.

Die Innenstadt Amsterdams zeigt eine ausgewogene Nutzungsmischung. Das Ringbahnzentrenkonzept Amsterdams scheint zu funktionieren. In den ganzen Niederlanden findet sich eine Standortplanung für Arbeitsstätten und zentrale Einrichtungen in der Nähe des ÖPNV. Delft räumt den stadtverträglichen Verkehrsmitteln unbedingten Vorrang ein. In der Region Bern wird die Siedlungsentwicklung rund um die Bahnhöfe konzentriert. In Halle (Saale) sucht man die verkehrssparende hergebrachte Stadtstruktur durch klare Priorität des Umweltverbundes zu Lasten des Autoverkehrs vor distanzvergrößernden Tendenzen der Nachwendezeit zu schützen. Im englischen Oxford findet eine strikte Begrenzung des Kfz-Verkehrs aufgrund von Denkmal- und Landschaftsschutz statt. In Portland (Oregon) wird versucht, eine autoorientierte Siedlungsstruktur durch neue Bahnstrecken zu verändern.

Neben diesen regionalen Konzepten wurden auch räumlich eng begrenzte Konzepte untersucht. In Freiburg, Tübingen und Nürnberg gibt es Konzepte für einzelne Stadtteile, die auf einen kleinräumigen Erfolg zielen. Sie erwiesen sich aber als nicht ohne weiteres übertragbar, weil sie an die örtlichen Vorraussetzungen und Bedingungen gebunden sind.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangssituationen lassen die Befunde doch ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen den dargestellten Städten erkennen. Folgende Ansätze lassen sich verallgemeinern und versprechen als Erfolg eine bescheidene, aber doch deutliche Entlastung vom Kfz-Verkehr im Vergleich zur Entwicklung in "normalen" Städten: 1. Stadtquartiere mit angemessener Besiedelungsdichte und Nutzungsmischung, mit Straßenräumen guter Aufenthaltsqualität und begrenztem Autoverkehr sollten vor Veränderungsdruck geschützt werden. 2. Das zahlenmäßige Übergewicht von Arbeitsplätzen in der Innenstadt sollte durch Wohnungsbau ebendort verringert werden. 3. Neue Arbeitsstätten sollten vorrangig nahe an bestehenden oder zu entwickelnden Knotenpunkten des ÖPNV entstehen. 4. Hohe Bau- und Nutzungsdichten bei guter Städtebau- und Freiraumqualität wirken sich verkehrsvermeidend aus. 5. Die Siedlungstätigkeit sollte auf Standorte in der Stadt und nahe am Netz des ÖPNV konzentriert werden. Eine strikte Minimierung des Landschaftsverbrauchs außerhalb von Bahnhofsgebieten ist vorteilhaft. 6. Autoverkehr sollte beruhigt werden und Geh-, Rad- und ÖPN-Verkehr Vorrang eingeräumt werden. 7. Die Landschaft rund um die Stadt sollte freigehalten werden. 8. Siedlungsentwicklung sollte auf Orte konzentriert werden, die gut mit Versorgungseinrichtungen ausgestattet und mit ÖPNV leicht erreichbar sind. Das stärkt die Orientierung auf den eigenen Ortsteil und hat positive Rückwirkungen auf den Verkehr (mehr Wege zu Fuß und mit dem Rad). 9. Die Anlage autofreier Wohngebiete führt zu intensiverer Nutzung der Straßenräume, Reduzierung von Angsträumen, verbesserten Möglichkeiten für Kinder, ihr Umfeld selbständig zu entdecken und die Wiederentdeckung der Straße als Kommunikationsort. Verkehre werden insbesondere auf das Fahrrad verlagert.

Insgesamt wird deutlich, daß eine Problemlösung nicht allein in einer stadtverträglichen Abwicklung des Verkehrs (Verkehrsverlagerung) liegt, sondern auch bei der Raumplanung anzusetzen ist (Verringerung des Verkehrsaufwandes, Verkehrsvermeidung).

Ohne eine Reform der Rahmenbedingungen werden solche raumplanerischen Lösungen nur auf wenig Akzeptanz stoßen oder erst gar nicht umgesetzt werden. Zu guter Letzt werden daher kurz Steuerungs- und Lenkungsinstrumente angedeutet. Damit schlägt die Studie einen Bogen zur Difu-Studie "Flächen sparen, Verkehr reduzieren" von 1995, die bei teils gleichen Autoren einen ähnlichen Ansatz hatte und sich diesen Instrumenten intensiv widmete.

Untersuchung

Dieter Apel, Michael Lehmbrock, Tim Pharoah, Jörg Thiemann-Linden: Kompakt, mobil, urban: Stadtentwicklungskonzepte zur Verkehrsvermeidung im internationalen Vergleich, Difu-Beiträge zur Stadtforschung Band 24, Berlin 1997, 491 Seiten, 84,00 DM, ISBN 3-88118-234-9

Anschrift

Deutsches Institut für Urbanistik, Postfach 126224, 10593 Berlin, Tel.: (030) 39 00 1-0, Fax: (030) 39 00 1-100


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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