ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 317 - 24.7.1998

Dankmar Alrutz u.a.: Sicherheit des Radverkehrs auf Erschließungsstraßen

Scharf rechts fahren ist gefährlich

Wichtigstes Ergebnis

Radfahren auf Erschließungsstraßen ist deutlich sicherer als das Fahren auf Hauptverkehrsstraßen. Für den einzelnen Radfahrer verringert sich die Gefahr eines Unfalls etwa um die Hälfte. Die geringe Wahrscheinlichkeit kritischer oder behindernder Interaktionen macht das Radfahren auf Erschließungsstraßen auch angenehmer. Unter Sicherheitsaspekten ist dabei Mischverkehr auf der Fahrbahn in Verbindung mit Tempo-30-Konzepten und Rechts-vor-links-Regelungen zu favorisieren. Radwege können sogar ein zusätzliches Risiko darstellen.

Zum Inhalt

Die Autoren erforschten die Verkehrssicherheit auf Erschließungsstraßen auf der Basis von Zählungen, Unfallanalysen, Verhaltensbeobachtungen und Befragungen. Danach ist das Unfallrisiko für Radfahrer auf Erschließungsstraßen erheblich geringer als auf Hauptverkehrsstraßen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Radverkehrsstärken. Auch die Unfallfolgen sind auf Erschließungsstraßen geringer als auf übergeordneten Straßen. Auch die häufigen Unfalltypen sind in Erschließungsstraßen andere als in Hauptverkehrsstraßen. Unfälle an Knoten haben eine deutlich geringere Bedeutung. Unter den Streckenunfällen sind diejenigen auffällig, die durch Scharf-rechts-fahren begünstigt werden.

Untersucht wurde u.a. die Querschnittsbelegung auf der Fahrbahn, d.h. die kleinräumige Flächenbeanspruchung von Radfahrern auf der Fahrbahn und Interaktionen mit Kfz im Längsverkehr (Überholen, Hinterherfahren, Begegnen). Auf Erschließungsstraßen fahren fast die Hälfte der Radfahrer auch ohne Interaktion und damit ohne jede Notwendigkeit in einem Abstandsbereich bis zu 1m von parkenden Fahrzeugen und damit noch im Gefahrenbereich sich öffnender Türen. Auf Hauptverkehrsstraßen sind es gar 80-90%. Viele Radfahrer fahren gar ausgeprägt rechts (bis 0,5m Abstand von parkenden Fahrzeugen). Radfahrer mit Interaktion fahren regelmäßig noch weiter rechts als solche ohne Interaktion. So fahren gar 75% der Radfahrer in Einbahnstraßen mit zugelassenem Radgegenverkehr bei einer Kfz-Begegnung mit einem Abstand bis 0,5m von parkenden Fahrzeugen. Dieses Rechtsfahren erwies sich als in mehrfacher Hinsicht sehr gefährlich. Unfälle mit ruhendem Verkehr stehen zu einem großen Teil in Verbindung mit Türöffnen. Konfliktträchtig sind auch Ein- und Ausparkmanöver von Kfz. Und auch eine kleine Unachtsamkeit des Radfahrers selbst reicht, um in diesen Fällen mit einem - womöglich gar korrekt abgestellten - Kfz zu kollidieren. Aber auch der Überholverkehr ist gefährlich: Kfz-Fahrer verzichten auch bei potentiell kritischen Vorbeifahrdistanzen von unter 1m nur selten auf einen Überholvorgang. Sie nutzen geradezu aus, daß Radfahrer ihnen unter Verzicht auf eigene Sicherheit eine Fahrgasse freihalten. Von vornherein vermieden werden solche Gefahren nur durch einen selbstbewußten sicheren Abstand; Kraftfahrer überholen dann eher auf der Gegenfahrbahn unter Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes oder verzichten auf den Überholvorgang.

Als gefährlich erwies sich auch die Gehwegnutzung der Radfahrer. Radfahrer fahren in zwei Situationen überdurchschnittlich häufig auf Gehwegen:

In Einbahnstraßen, wenn die Gegenrichtung für sie nicht freigegeben ist und überall, wenn der Gehwegbelag besser ist als die Fahrbahnoberfläche. Beides sollte von den kommunalen Behörden im Interesse der Verkehrssicherheit abgestellt werden.

In Einbahnstraßen fahren ca. 40% der Radfahrer unerlaubt gegen die Einbahnrichtung. Ein großer Teil fährt sogar auf den Gehwegen, was zusätzliche Sicherheitsprobleme birgt. Die Zulassung des Radverkehrs in Gegenrichtung wirkt sich nicht negativ auf die Verkehrssicherheit aus, vielmehr nimmt der Anteil der auf dem Gehweg fahrenden Radfahrer ab. Dies führt zu geringeren Beeinträchtigungen der Fußgänger und vermeidet für Radfahrer zusätzliche Sicherheitsprobleme, die speziell mit der Gehwegnutzung verbunden sind. Allerdings reicht auch bei einer flächenhaften Öffnung der Einbahnstraßen eine Kennzeichnung allein durch Beschilderung offenbar nicht aus, um eine ausreichende Kenntnis der Regelung bei allen Verkehrsteilnehmern zu erreichen. Flankierende Maßnahmen, wie z.B. Fahrbahnmarkierungen sowie Öffentlichkeitsarbeit können verstärkt auf die Regelung hinweisen und damit das gegenseitige Verständnis und ein kooperatives Miteinander fördern. Im Erschließungsstraßennetz sind in der Regel jedoch keine speziellen baulichen Maßnahmen zur Sicherung des gegengerichteten Radverkehrs erforderlich. Dies gilt auch für Rechts-vor-Links-Knotenpunkte.

Fahrradstraßen treten örtlich zumeist nur als Einzelmaßnahme auf, so daß nur erste Einzelergebnisse ermittelt werden konnten. Sie weisen insbesondere in Relation zur sehr starken Nutzung durch die Radfahrer eine günstige Unfallbilanz auf. Doch zeigt die große Mehrheit der Radfahrer kein erkennbar anderes, z.B. selbstbewußteres oder durchsetzungsorientiertes Verhalten. Insbesondere fahren Radfahrer auch hier häufig scharf rechts und begünstigen damit potentiell kritische Situationen. Immerhin zeigte sich aber eine geringere Gehwegnutzung unter den Radfahrern. Auch für Autofahrer sind keine offenkundigen Verhaltensänderungen erkennbar: sie überholen auch in Fahrradstraßen ohne ausreichenden Seitenabstand und verzichten auch hier bei potentiell kritischen Vorbeifahrdistanzen nur selten auf einen Überholvorgang. Sie nutzen auch hier geradezu, daß Radfahrer ihnen unter Verzicht auf eigene Sicherheit eine Fahrgasse freihalten. Auch die Geschwindigkeiten des Kfz-Verkehrs entsprechen in keiner Weise dem rechtlich geforderten mäßigen Niveau.

Velorouten als einzelne besonders wichtige Hauptverbindungen eines Radverkehrsnetzes weisen ein nur halb so hohes Unfallrisiko im Verhältnis zur parallelen Hauptverkehrsstraße auf. Die Routen werden im Vergleich zu sonstigen Erschließungsstraßen gut angenommen. Die Nutzer fahren die Route zumeist regelmäßig. Neben dem klassischen Wegewahlgrund "kürzester und schnellster Weg" hat das geringe Kfz-Aufkommen auf den Routen gleichrangige Bedeutung. Alle anderen Gründe haben nur eine stark abfallende Sekundärbedeutung. Die Velorouten dienen nicht nur der Verbindungsfunktion von Stadtteil zu Stadtteil, teilweise überwiegt sogar die Erschließungsfunktion nur in Teilbereichen. Sie sind daher als wichtiger integraler Bestandteil eines Gesamtnetzes zu verstehen und nicht etwa als "Autobahn" für den Radverkehr. Gute Akzeptanz- und Verlagerungschancen haben Routen, die für die wichtigsten Fahrbeziehungen der Radfahrer in ihrem Verlauf gut nachvollziehbar sind und nur einen Mehrweg bis etwa 10% gegenüber der Hauptverkehrsstraße bedeuten. Ein hoher Stellenwert kommt auch der Erreichbarkeit und Wegweisung zu, da viele Velorouten schon jenen Radfahrern nicht bekannt sind, die auf der parallelen Hauptverkehrsstraße fahren.

Untersuchung

Dankmar Alrutz u.a., Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft V 37: Sicherheit des Radverkehrs auf Erschließungsstraßen, 156 Seiten, 36,50 DM; ISBN 3-89429-814-6, ISSN 0943-9315

Anschrift

Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Postfach 101110, 27511 Bremerhaven, Tel: 0471/94544-0, Fax: 0471/94544-77


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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