ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 310 - 17.4.98

Ralf Rockenbauch: Verkehrskonzeptionen für die Zukunft unter besonderer Berücksichtigung des Fahrradverkehrs

Autolobby mißbraucht Wirtschaftsmodelle

Wichtigstes Ergebnis

In seiner Dissertation beschäftigt sich Rockenbauch mit der Frage, welches Verkehrskonzept den größten volkswirtschaftlichen Nutzen verspricht. Er vergleicht auf über 300 Seiten den neoliberalen-neoklassischen Ansatz - vereinfacht: die Kräfte des freien Marktes führen zu einem Zustand, in dem der beste Nutzen für das Gemeinwohl erreicht wird - mit dem Ansatz der "Verkehrswende" und kommt zu dem Schluß, daß die Verkehrswende nützlicher ist.

Zum Inhalt

Rockenbauch sieht in der Anwendung der neoklassischen Wirtschaftsmodelle auf den Verkehrssektor vielfältige Probleme:

Marktversagen: Die Bewertung der externen Kosten des Radverkehrs ist schwierig, auf Seiten der Verkehrsnachfrager wird über Radverkehr gar nicht erst nachgedacht (Informationsdefizite).

Theorieversagen: Implizite Werturteile (Modellannahmen), einseitiger Einsatz der Modelle zugunsten des motorisierten Verkehrs und Schwächen in der praktischen Anwendung ermöglichen es den Verkehrspolitikern, die Modelle zur Verteidigung ihrer Interessen gegenüber einer Mehrheit einzusetzen.

Wissenschaftsversagen: Die Wissenschaft ignoriert das Fahrrad als Verkehrsmittel in der Forschung und in ihren Modellen. Die Modelle werden falsch eingesetzt. Man kann die neoklassischen Modelle auch so anwenden, daß sie für eine Förderung des Radverkehrs sprechen.

Politikversagen: Die Konsequenz aus dem Theorie- und Wissenschaftsversagen ist, daß sich jedes vorgefertigte politische Urteil eines Entscheidungsträgers stützen läßt.

Technikversagen: Technische Lösungen sind Scheinlösungen, weil sie von einer gegebenen Nachfrage ausgehen, tatsächlich aber zusätzliche Nachfrage induzieren.

Der Autor setzt auf die wohlfahrtstheoretischen Entscheidungshilfen, die er mit der modernen Konsumtheorie und mit sozialökologisch orientierten Ansätzen kombiniert, um sie für die "Verkehrswende zum Radverkehr" einsetzen zu können. Die Ansätze der modernen Konsumtheorie und die Ansätze der präventiven Umweltpolitik stellen Entscheidungshilfen im Rahmen der allgemeinen Volkswirtschaftslehre dar, die bisher nicht bei der Analyse des Radverkehrs eingesetzt wurden. Deshalb war die explizite Betrachtung dieses Verkehrsträgers im Rahmen dieser Modelle notwendig. Die Ergebnisse zeigen, daß die Förderung des Radverkehrs einzel- und gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist.

Die Autolobby setzt eine Vielzahl von Entscheidungshilfen (volkswirtschaftliche Modelle, empirische Kennziffern etc.) ein, um eine Rahmenordnung zu installieren, die ihr erhebliche Spielräume zur Realisierung von Gewinnen garantiert. Dies geht jedoch vielfach zu Lasten der Gesamtgesellschaft und führt keineswegs zur ursachenadäquaten Lösung der Verkehrsprobleme.

Die Umweltlobby fordert als oberstes Ziel auch im Verkehrssektor eine Abkehr vom Wachstums- und Wettbewerbsstreben. Die verstärkte Berücksichtigung der Umwelt und der sozialen Effekte des menschlichen Handelns soll in den Mittelpunkt des Denken und Handelns gestellt werden. Wie die Neuorganisation der (wirtschaftlichen) Abläufe konkret aussehen soll, ist bisher nicht ganz klar. Bzgl. des Mobilitätsbegriffs fordert die Umweltlobby, der funktionsorientierten Definition der Mobilität zu folgen. Das heißt, die Bedürfnisbefriedigung, die den Verkehr erzeugt, wird mit berücksichtigt und die Ursache des Transportbedarfs wird stärker betont. Dadurch gewinnen die Ansätze der Verkehrsvermeidung deutlich an theoretischer Argumentationskraft und praktischer Umsetzbarkeit.

Für das praktische Vorgehen fordert die Umweltlobby den aufeinander abgestimmten Einsatz einer Vielzahl von Maßnahmen. Ziel ist ein Gesamtpaket von (verkehrs-)politischen Eingriffen. Dadurch können die aufeinander einwirkenden Systemkomponenten besser berücksichtigt werden (historische, politische, geographische, physikalische, wirtschaftliche Gegebenheiten). Monokausale Erklärungen und Lösungsansätze werden als wenig erfolgreich angesehen. Die Palette der Maßnahmen reicht dabei von siedlungs- und raumordnungspolitschen Ansätzen bis hin zur technischen Optimierung des Verkehrs. Als Schwachstelle bei dieser Forderung und Vorgehensweise erweist sich die Koordination sämtlicher Maßnahmen, die aufgrund teils unbekannter Systemzusammenhänge oft unmöglich ist. Da sich die Umweltlobby der Probleme bei "Handeln unter Unsicherheit" durchaus bewußt ist, fordert sie - wie in der allgemeinen Umweltpolitik - den verstärkten Einsatz des Vorsichts- und Vorsorgeprinzips auch für die Verkehrspolitik. Auch hier knüpfen die praktischen Maßnahmen der Verkehrsvermeidung und der Verkehrsverlagerung auf ökologisch verträgliche Verkehrsträger nahtlos an. In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig, daß eine eindeutige Festlegung von Art und Umfang des Verkehrs - speziell in Ballungsgebieten ist die Veränderung des modal split gut möglich - stattfindet. Diese politisch-ökologisch eindeutige Zielvorgabe unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips ermöglicht es, das notwendige Maßnahmenbündel zu optimieren. Die Erfolgskontrolle (Zielerreichungsgrad bei der Beseitigung der Ziel-Lage-Diskrepanz) gibt Aufschluß über die Effizienz der gewählten Mittel. Solange jedoch eine unzureichende Zielvorgabe vorliegt, können die verkehrspolitischen Ansätze nicht optimiert werden. Gerade in der Verkehrspolitik erweist sich die politisch-ökologische Zielfestlegung als problematisch, da sowohl Politikversagen vorliegt als auch Unklarheit über bessere Möglichkeiten zur demokratischen Zielerreichung.

Erhebliche Defizite bestehen in der volkswirtschaftstheoretischen Unterstützung der Ansätze der Umweltlobby. Meist wird eher formuliert, welche Ansätze die Umweltlobby ablehnt, als positiv konstruktive (theoretische) Vorschläge zu präsentieren; die Umweltlobby befindet sich zumeist in der Defensive.

Dissertation

Ralf Rockenbauch: Verkehrskonzeptionen für die Zukunft unter besonderer Berücksichtigung des Fahrradverkehrs. Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang 1996 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 5, Volks- und Betriebswirtschaft; Bd. 1976) ISBN 3-631-30475-7

Bezug

Peter Lang GmbH (Europ. Verlag der Wissenschaften, Postfach 940 225, 60460 Frankfurt), 95 DM zzgl. Versand.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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