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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 307 - 6.3.98

Christian Krohn: Das Kieler Semesterticket als Instrument einer Integrierten Nahverkehrspolitik

Semesterticket auf ganzer Linie gescheitert

Wichtigstes Ergebnis

Das Kieler Semesterticket ist am eigenen Anspruch gescheitert. Es schadet der Umwelt und bringt allenfalls frühere Radfahrer und Fußgänger in die Busse. Fahrgäste, die ihre Wege zuvor wirklich umweltfreundlich zurückgelegt haben, fahren jetzt verstärkt in stinkenden und lärmenden Dieselbussen (vgl. FoDiFa 270) durch die Stadt. Das hat eine Diplomarbeit ergeben, die sich den Veränderungen des Verkehrsverhaltens der Studenten widmet, die durch das Kieler Semesterticket seit dessen Einführung eingetreten sind.

Zum Inhalt

Mit der Einführung des sogenannten Semestertickets im Sommer 1995 wurde in Kiel der Versuch unternommen, eine Verlagerung des studentischen Verkehrs vom Pkw auf den Bus zu erreichen. Später wurde das Ticket um ein Umlandticket ergänzt, mit dem Busse und Bahnen im näheren Umland benutzt werden können. Das Ziel ist völlig verfehlt worden. Der Autor gliedert seine Arbeit in drei Teile. Im ersten wird der Untersuchungsraum, die Stadt Kiel, skizziert. Im zweiten Teil wird das Verkehrsverhalten und die Zusammensetzung der studentischen Verkehrsmittelwahl, der Modal split, vor der Einführung des Semestertickets untersucht. Im dritten Teil wird das Verkehrsverhalten nach der Einführung des Tickets analysiert und mit den vorangegangenen Ergebnissen und Zielsetzungen verglichen. Für die Untersuchung standen die Ergebnisse von drei Umfragen der Verfaßten Studentenschaft zum Ticket und die zweier Umfragen des Deutschen Studentenwerks zur sozialen Lage und dem Verkehrsverhalten der Studenten zur Verfügung. Zählungen gab es nicht.

Ansatzpunkt des Autors ist es vor allem, daß das Semesterticket zum Ziel habe, auf die "Konferenz von Rio" von 1992 zu reagieren, Emissionen von Stickoxiden und CO2 zu vermeiden und eine nachhaltige Entwicklung zum Erhalt unserer Lebensgrundlage umzusetzen. Tatsächlich hatte der AStA bei der Einführung des Tickets nicht nur damit geworben, sondern geradezu als Leistung versprochen, daß es weniger Emissionen durch weniger Autos geben werde, weniger Lärm, weniger Unfallgefahren und weniger Parkplatzsuche. Nichts von dem und weiteren Versprechungen und Erwartungen ist eingetreten. Insbesondere die erstrebte Verkehrsverlagerung hat nicht stattgefunden. Vor der Einführung des Tickets lag der Anteil der Autonutzung auf dem Weg zur Uni bei etwa 15% und auch nach der Einführung liegt er bei etwa 15%. Auch der Bahnanteil ist mit knapp 2% etwa gleichgeblieben, Wegeketten werden trotz der billigen ÖPNV-Nutzung kaum gebildet. Die Nutzung des städtischen Busliniennetzes steigerte sich jedoch von etwa 6% auf 12 bis 25% und hat sich damit fast vervierfacht. Die Nutzung des Rades ging hingegen entsprechend zurück. Positiv vermerkt der Autor jedoch, daß die

Verkehrsverlagerung vom Fahrrad auf den Bus ohne zusätzliche Investitionen erreicht worden sei. Die Verkehrsunternehmen hätten, so der Autor, ohne das Ticket für die gewaltige Steigerung ihres Modalsplit-Anteils erhebliche Aufwendungen erbringen müssen, sei es in Werbung, Tarifverbesserung oder Liniennetzverbesserungen. Es seien gar Mehreinnahmen erzielt worden, für die ebenfalls keine zusätzliche Aufwendungen erbracht werden mußten.

Der Autor zieht aus seinen Zahlen den Schluß, daß eine Verlagerung vom MIV auf umweltverträglichere Verkehrsarten nur durch ein Gesamtsystem von Push- & Pull-Maßnahmen möglich ist. Insbesondere dürfe der MIV nicht weiter gefördert werden, im Gegenteil komme einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung die größte Bedeutung zu.

Trotz seiner Ergebnisse versucht der Autor - selbst einer der Väter des Kieler Semestertickets -, dem Semesterticket positive Effekte abzugewinnen: Der bundesweit defizitär arbeitende ÖPNV könnte durch eine derartige Maßnahme gestärkt werden. Die Maßnahme sei für den ÖPNV nahezu kostenneutral. Und auch die sichere Einnahmequelle sei ein weiterer positiver Effekt für den ÖPNV.

Das Semesterticket hat sich damit zu einer gigantischen Subventionsmaschine zugunsten der Bus- und Bahn-Verkehrsträger entwickelt, die sich über die festen Einnahmen freuen können und von der Last befreit worden sind, kundenorientiert zu arbeiten, oder gar der, einzelne Fahrscheine verkaufen zu müssen.

Untersuchung

Das Kieler Semesterticket als Instrument einer Integrierten Nahverkehrspolitik, Diplomarbeit zur Diplomprüfung im Fach Geographie, Christian-Albrechts-Universität Kiel, August 1997, 114 Seiten plus Anhang.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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