ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 224 - 20.08.1994

PETER CERWENKA / ULRIKE MATTHES:

FÖRDERUNG DES RADVERKEHRS IN STÄDTEN

PROGNOS-Modell: autofreie Stadt wäre ohne Verkehrsunfälle

Wichtigstes Ergebnis: Die Zunahme des Radverkehrs läßt steigende Verunglücktenbelastungen erwarten. Erst bei sehr hoher Fahrradnutzung nimmt die Unfallbelastung wieder ab. Zur Unfallverhütung wird empfohlen, Radverkehr und motorisierten Individualverkehr (MIV) durch weitgehend getrennte Infrastrukturen zu "entkoppeln", und die Geschwindigkeiten des Kfz-Verkehrs weiter zu reduzieren.

Zum Inhalt: Weil Radverkehrskonzepte und ihre Realisierung in vielen Städten nicht nur zur Zunahme des Radverkehrs, sondern auch zu einer tendenziell steigenden Fahrrad-Unfallentwicklung geführt haben, hat die PROGNOS AG in einem Gutachten für die Bundesanstalt für Straßenwesen zum "Vergleich der Verkehrssicherheit von Städten" auch den Zusammenhang zwischen Radverkehrsleistung und Unfallentwicklung untersucht. Zu klären war dabei, ob Umweltschonung in diesem Fall nicht durch eine Senkung der Verkehrssicherheit erkauft wird.

Die Untersuchung baut auf einem theoretischen Modell auf. Dazu wird eine Beziehung zwischen Verunglücktenbelastungen und dem Anteil des Radverkehrs an den Kilometern des Gesamtverkehrs unterstellt. Bild 1 erläutert diesen Zusammenhang für eine fiktive Modellstadt, in der es eine konstante Verkehrsmenge gibt, die Unfallentwicklung nur von zwei relevanten Verkehrssystemem (Fahrrad und motorisierter Individualverkehr MIV) abhängt. Außerdem wird unterstellt, daß es praktisch nur zwei relevante Unfalltypen gibt: Unfälle von Kfz untereinander (MIV/MIV) und Unfälle zwischen Kfz und Fahrrad (MIV/Rad).

Nach diesem Modell wäre also eine Stadt ohne Kfz-Verkehr, in der man sich ausschließlich mit Fahrrädern fortbewegen würde, völlig unfallfrei. In einer fahrradfreien Stadt dagegen blieben die Unfälle der Kfz untereinander. Gibt es beide Verkehrssysteme, so steigt die Gesamtunfallbelastung bei steigenden Radverkehrsanteil wegen der zunächst überproportionalen Radverkehrsunfallbeteiligung; erst bei sehr hohen Radverkehrsmengen kommt es wieder zu niedrigeren Gesamtunfallbelastungen.

Der Versuch, dieses Modell mit Daten aus der Praxis zu belegen, konnte statistisch nicht abgesichert werden. Nach den Berechnungsergebnissen mit Daten aus sieben deutschen Städten würde die Zahl der Verunglückten rein mathematisch zunehmen, bis die Radverkehrsleistung an allen Fahrten 46% bei Schwerverletzten bzw. 43% bei Verunglückten erreicht. Erst bei noch höherenRadverkehrsmengen ginge die Verunglücktenbelastung zurück.

Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit empfehlen die Gutachter entweder, den Radverkehrsleistungsanteil massiv zu steigern, oder Radverkehr und Kfz-Verkehr durch möglichst weitgehend getrennte Infrastrukturen weitgehend zu "entkoppeln". Außerdem sollten die Kfz-Geschwindigkeiten gesenkt werden, damit Begegnungen zwischen Kfz und Rad seltener werden und es deshalb nicht mehr so häufig zu Kollisionen kommen kann.

Veröffentlichungen:
Artikel: "Förderung des Radverkehrs in Städten. Umweltschutz versus Verkehrssicherheit?" von Peter Cerwenka und Ulrike Matthes, in: Zeitschrift für Verkehrssicherheit, Jg. 40 (1994) Heft 1.
Gutachten: "Vergleich der Verkehrssicherheit von Städten" von Udo Becker, Peter Cerwenka, Ulrike Matthes und Wolfgang Riedel, Prognos AG Basel, Bericht zum Forschungsprojekt 8506 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschungsbericht 250, Bergisch-Gladbach 1992.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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