ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 207 - 11.12.93

TILMAN BRACHER:

DAS POTENTIAL DES FAHRRADVERKEHRS

Mit den richtigen Maßnahmen könnte der Fahrradverkehr in Berlin bis zum Jahr 2000 vervierfacht werden und viele Verkehrsprobleme lösen

Wichtigstes Ergebnis: Untersuchungen zur möglichen Nutzung des Fahrrads gelten meistens nur dem Kurzstreckenverkehr. Da sich Radverkehr aber wesentlich stärker fördern läßt, wenn auch Bike & Ride, eine Stadt- und Verkehrsplanung "der kurzen Wege" und Veränderungen beim Freizeitverhalten verfolgt werden, wird das Fahrradpotential systematisch unterschätzt.

Zum Inhalt: In einem Beitrag zum Handbuch für kommunale Verkehrsplanung hat Tilman Bracher die Wirkungen von vier sich ergänzenden Ansätzen der Radverkehrsförderung am Beispiel Berlins für das Jahr 2000 im Vergleich zu vorhandenen Prognosen für die Verkehrsentwicklung Berlins überprüft.

Zunächst wurde die mit der herkömmlichen Radverkehrsförderung angestrebte Verlagerung von Kurzstreckenverkehr aufs Fahrrad bewertet. Dazu gehören z.B. Maßnahmen zur Verbesserung des "Fahrradklimas" und eine radverkehrsgerechte Infrastruktur. Weil 60% aller Wege höchstens 5 km weit sind, kann der Radverkehrsanteil im Großraum Berlin (West- und Ost-Berlin, Umland, 1989/90 6% Radverkehr) verdoppelt werden. Dadurch kommt es aber nicht nur zu Rückgängen von Kurzfahrten mit dem Auto, sondern auch beim öffentlichen Verkehr und im Fußverkehr (vgl. Tab. 2).

Weil bei einer Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln (Parken an Bahnhof und Haltestelle oder Fahrradmitnahme in Zug oder Bus), kurz Bike & Ride, vor allem Fahrten über längere Distanzen verlagert werden können, lassen sich auch deutliche Rückgänge bei den Fahrleistungen der Kraftfahrzeuge erzielen. In den Niederlanden wird das Fahrrad bei 35% aller Wege im Zubringerverkehr zu Bahnhöfen genutzt, zu Bus und Straßenbahnen allerdings wesentlich seltener. Für das Bike & Ride-Potential im Regionalverkehr Berlins (Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn, Tram, Bus) wird auf Basis niederländischer Erfahrungen ein Wert von knapp 8% der ÖPNV-Fahrten geschätzt, wenn auch in Berlin alle Bahnhöfe gut erreichbar werden und attraktive, geschützte Parkmöglichkeiten für Fahrräder erhalten.

Weil sich Verkehrsuntersuchungen meistens auf Pläne zur Bewältigung des erwarteten Verkehrszuwachses beschränken, können Maßnahmen der Stadtplanung, z.B. eine Stadt der kurzen Wege am besten anhand von Vergleichsstädten bewertet werden. Die Nutzung nichtmotorisierter Verkehrsmittel hängt eng mit der Siedlungsstruktur zusammen. Wo Entfernungen kurz und Autoverkehrsflächen knapp sind, geht die Bedeutung des privaten Kfz-Verkehrs und des öffentlichen Verkehrs zurück. Dies bestätigen Erfahrungen aus Amsterdam, Groningen und Houten. Fahrradfreundlich sind wohnungsnahe Einrichtungen und verkehrsberuhigte bzw. autofreie Straßenräume. Schlecht erreichbare Zentren "auf der Grünen Wiese" sind dagegen fahrradfeindlich. Als polyzentrische Stadt bietet Berlin günstige Voraussetzungen. Nach den niederländischen Daten erscheint eine Erhöhung des Berliner Radverkehrsanteils auf das 3,5fache des bisherigen Niveaus erzielbar.

Erhebliche Entlastungswirkungen beim Kfz-Aufkommen werden auch beim Freizeitverkehr erwartet, wenn sich die erwarteten Zuwächse nicht weitgehend auf die Autonutzung konzentrieren. Wenn nur die Hälfte des für den Fernverkehr prognostizierten Zuwachses durch Fahrradaktivitäten ersetzt werden kann, trägt auch der Freizeitbereich erheblich zur Entlastung vom Auto bei.

Wenn alle vier Strategien gemeinsam realisiert werden, wird der Radverkehr im Großraum Berlin bis zum Jahr 2000 auf mehr als das Vierfache steigen, während der Autoverkehr um etwa ein Viertel auf das Niveau des Fahrradverkehrs zurückgeht (Abb.4); die Zahl der mit Autos zurückgelegten Kilometer reduziert sich ebenfalls, allerdings weniger deutlich (vgl. Tab. 2). Auch umfassende Radverkehrsförderung wird nicht zu Einbrüchen beim Verkehrsaufkommen der öffentlichen Verkehrsmittel führen: die erwartete Zahl der Fahrgäste liegt nur gering unter der bisherigen Prognose, und die Menge der zu befördernden Personenkilometer verändert sich wegen der rückläufigen Bedeutung im Kurzstreckenverkehr praktisch nicht.

Beitrag: "Das Potential des Fahrradverkehrs" von Tilman Bracher, in: Handbuch der Kommunalen Verkehrsplanung, Hg. von D. Apel u.a., 3. Ergänzungs-Lieferung 1993, Economica-Verlag, Bonn, ISBN 3-87081-413-6.

Autor: Tilman Bracher, IVU Gesellschaft für I


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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