ADFC FDF-Archiv

ForschungsDienst Fahrrad


FDF 203 - 16.10.93

KLAUS HINTE:

STRASSENVERKEHRSORDNUNG UND RADVERKEHRSFÖRDERUNG: AUSSCHÖPFUNG DER SPIELRÄUME UND NOVELLIERUNGSERFORDERNISSE

Einbahnregelung für Radfahrer in Tempo-30-Zonen unverhältnismäßig

Wichtigstes Ergebnis:

Obwohl sich die gegenwärtige StVO in erster Linie an den Autoverkehr richtet bestehen ungenutzte Möglichkeiten zur Förderung des Fahrradverkehrs: Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht durch veränderte Kennzeichnung von Radwegen ("Gehweg - Radfahren erlaubt"), die Öffnung von Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung (z.B. durch Ausweisung als Fahrradstraße), und die Ausweisung von bisherigen Kfz-Flächen als Fahrradparkplätze.

Zum Inhalt:

Nach einem von Klaus Hinte, dem Leiter der Straßenverkehrsbehörde Bremen, auf dem ersten Bonner Fahrradkongreß 1991 gehaltenen Vortrag, richtet sich das Regelwerk der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) in erster Linie an Autofahrer. Weil eine einseitige Ausrichtung von Normen oder Infrastrukturen nicht akzeptiert wird, sollten die vorhandenen Spielräume zur Förderung des Fahrradverkehrs ausgeschöpft und die StVO novelliert werden.

Zu den nicht akzeptablen Regelungen gehört die Benutzungspflicht von Radwegen. Der Sicherheitsgewinn des Separationsprinzips für den Radverkehr wird zu recht bezweifelt. Bauliche Radwege sind problematisch, weil sie oft sehr störanfällig sind, mangelhaft trassiert, wenig breit und falsche, ungenügende Knotenpunktlösungen haben. Die StVO zwingt in ihrer gegenwärtigen Fassung auch zur Benutzung ungeeigneter Radwege. Ungeeignete Radwege sollten deshalb aufgegeben und durch Z 241 StVO (Gehweg), Zusatz "Radfahren erlaubt", gekennzeichnet werden. Die Benutzungspflicht sollte nur bei ausgeschilderten Radwegen (Z 237 StVO) beibehalten werden, wenn die Ausschilderung an einen noch festzulegenden Mindeststandard gebunden wird.

Zur Vermeidung unnötiger Umwegfahrten von Radfahrern in Einbahnstraßen bieten sich drei Lösungen an: a) Z 267 Verbot der Einfahrt mit Ausnahmeregelung für Radfahrer - die andere Richtung bleibt offen; b) Markierung von Radsonderwegen auf der Fahrbahn, die von der Einbahnregelung nicht betroffen sind, oder c) Fahrradstraßen, bei denen anderer Verkehr in nur einer Richtung zugelassen wird.

Parkplätze auf Fahrbahnen können rechtswirksam dem Abstellen von Fahrrädern vorbehalten werden, denn nach §42 (4, 2) StVO kann das Parken auf entsprechend beschilderten Parkplätzen auf bestimmte Fahrzeugarten beschränkt werden.

Auch das an Baustellen häufig verwendete Zusatzzeichen "Radfahrer absteigen" ist nicht akzeptabel. Zwar muß es von Radfahrern nicht beachtet werden, weil Zusatzzeichen keine Befehle enthalten dürfen. Dennoch kann Radverkehr auch im Baustellenbereich unter beengten Verhältnissen geführt werden, wenn für den Kraftfahrzeugverkehr verfügbare Flächen eingeschränkt werden.

An Kreuzungen und Einmündungen sollten im Verlauf von Vorfahrtstraßen immer Furtmarkierungen aufgetragen werden, nur bei besonders problematischer Führung an Kreuzungen sollten diese auch rot eingefärbt werden. Bei Zweirichtungs-Radwegen der untergeordneten Straße sollte a) Zusatzzeichen 702 (Radfahrer von rechts und links) zum Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren), und b) farbige Dauermarkierung von Zeichen 138 StVO (Radfahrer kreuzen, 2,5fach überhöht) mit dazu markierten Pfeilen wie Z 702 auf der Fahrbahn angebracht werden oder c) bei Einmündung untergeordneter Straßen der Gehweg mit einem Rampenverhältnis 1:6 bis 1:8 hochgepflastert werden.

1992 wurden in Bremen einzelne, 1993 alle Einbahnstraßen in drei Tempo-30-Zonen für die Gegenrichtung freigegeben. Rad- und motorisierter Individualverkehr werden nur noch auf ca. 15m Länge in den Einmündungen zur Verkehrsstraße separiert. Bemerkenswert die Bremer Begründung: Weder die StVO noch die VwV-StVO verbieten die Ausnahmeregelung nur mit Verkehrszeichen. Da das Gefährdungsrisiko der Regelung niemals bewiesen wurde, die bisherigen Maßnahmen das Gegenteil belegen, ist ein Festhalten am Fahrtrichtungsgebot der Zeichen 220/221 (Einbahnstraße) unverhältnismäßig und daher rechtlich nicht zulässig.

Tagungsband:

"Straßenverkehrsordnung und Radverkehrsförderung: Ausschöpfung der Spielräume und Novellierungserfordernisse" in: Mensch - Umwelt - Fahrrad. Dokumentation zum 1. Bonner Fahrradkongreß am 10./11.6.1991, Hg. Oberstadtdirektor der Stadt Bonn, Schriftenreihe Beiträge zur Stadtentwicklung, Stadtplanung und zum Bauwesen Nr. 2, Bonn 1993.

Ergänzung:

"Radfahren gegen die Einbahnstraße - "illegal"?", Presseinformation des Stadtamt Bremen, Öffentlichkeitsarbeit vom 25.5.1993.

Anschrift:

Reg.-Dir. Klaus Hinte, Stadtamt Bremen, Straßenverkehrsbehörde, Rembertiring 39, 28203 Bremen, Tel. 0421/361-2160, Fax. 0421/361-6938.

FDF 203 vom 16.10.93


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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