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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 197 - 24.07.1993

C.J. JOYCE: DIE ZUKUNFT DES RADFAHRENS IM 21. JAHRHUNDERT: EINE NACHRICHT AUS HAVANNA

Kuba startet in die "Ära des Fahrrads"; Fahrradbestand verdreißigfacht

Wichtigstes Ergebnis: Weil sich die Kubaner infolge der weltpolitischen Veränderungen kein Benzin mehr leisten können, setzt die Verkehrspolitik aufs Fahrrad. Der Fahrradbestand in Havanna wird in drei Jahren verdreißigfacht, Kuba entwickelt eine eigene Fahrradindustrie, und die Hauptstadt Havanna ist schöner geworden.

Zum Inhalt: Noch 1989 wurden Fahrräder in den meisten Orten auf Kuba eher als Spielzeug denn als Verkehrsmittel betrachtet. 1990 begann ein Umschwung, weil es in Kuba in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und eines Handelsembargos der USA kein bezahlbares Benzin mehr gab.

So fiel der jährliche Ölverbrauch von 1990 bis 1992 von 13 auf 6 Millionen Tonnen, davon nur noch 1 Million Tonnen für den Verkehr. Regierungsvertreter, Planer, Ingenieure, Soziologen und andere begannen aufs das Fahrrad als nachhaltigem und bezahlbarem Verkehrsmittel zu setzen.

Auf einer internationalen Konferenz zur Zukunft des Radfahrens im 21. Jahrhundert ("The Future of Cycling in the 21st Century") im Frühjahr 1993 in Havanna wurde vorgetragen, wie die Förderung des Fahrrads in Kuba abläuft.

Begonnen wurde mit einer Reihe von Untersuchungen. Um abzuschätzen, wie sich die Verkehrsstruktur verändern würde, wenn das Fahrrad zum Hauptverkehrsmittel werden sollte, waren die bestehenden Verkehrsbeziehungen und ihre Aufteilung auf Verkehrsmittel untersucht worden. Weitere Studien galten den Themen "Was hält Leute vom Radfahren ab?" und "Kann Kuba eine selbständige Fahrradproduktion aufbauen?" Im Ergebnis waren sich Forscher und Praktiker einig, daß das Fahrrad die beste Alternative zum Autoverkehr ist, und Radfahrer und Fußgänger gegenüber Autos Vorrang bekommen sollten.

Zur Umsetzung der Maßnahmen wurde eine Kampagne unter dem Titel "Die Ära des Fahrrads" gestartet. 1,2 Millionen Fahrräder aus China und 600.000 aus der Sowjetunion wurden importiert und vorrangig an städtische Beschäftigte verteilt. Diese konnten sich den Preis von 90-130 Pesos nach und nach vom Gehalt abziehen lassen. In Havanna gab es 1990 gerade 30.000 Fahrräder, Anfang 1993 waren es 750.000 und Ende 1993 sollen es 1 Million sein.

Die Bevölkerung wurde mit einem umfassenden Informationsprogramm über Unfallverhütung, Parken und Sicherheit, Klima, Gelände und zum Verkehrsklima unterrichtet. Schulen, Maßenmedien und Wandtafeln brachten den Slogan "Vorsicht: Leben auf der Straße".

Die Regierung paßte Verkehrsregeln dem Radverkehr an. So war es notwendig, die Geschwindigkeiten der Autos zu reduzieren; das innerstädtische Tempolimit in Kuba beträgt mittlerweile 30 km/h statt 40-50 km/h und wird streng überwacht. Auch die Fahrbahnaufteilung auf vielen Straßen wurde neu geregelt. Viele Straßen in Havanna haben in jeder Richtung zwei Fahrspuren. Motorfahrzeuge dürfen inzwischen nur noch die linke Spur benutzen, während für Fahrräder und Busse die rechte Spur reserviert ist. Einige zweispurige Straßen wurden ausschließlich oder zeitweilig für Radfahrer reserviert.

Um den Radverkehr durch den Tunnel der Bucht von Havanna zu befördern, wurde in einer ersten Versuchsphase das Radfahren auf der dort bestehenden Autobahn erlaubt. Inzwischen transportieren zwanzig spezielle Busse täglich 7000 Fahrräder durch den Tunnel.

Zur Vermeidung langer Arbeitswege wurde sogar ein Wohnungstauschprogramm aufgelegt, damit Kubaner in näher am Arbeitsplatz gelegene Wohnungen ziehen können. Inzwischen hat Kuba auch eine heimische Fahrradproduktion mit fünf Fahrradfabriken gestartet.

Daß sich mit dem Fahrrad nicht nur Energieprobleme lösen lassen, zeigt der Eindruck von C.J.Joyce von der Bicycle Federation of America im Konferenzbericht: Havanna ist schöner geworden.

Buch: "The Future of Cycling in the 21st Century: A Message From Havanna" (engl.) von C.J.Joyce, in Pro Bike News, Hg. Bicycle Federation of America, Vol. 13, No. 6, Juni 1993, ISSN 1064-2765.

Anschrift: C.J.Joyce, Bicycle Federation of America, 1818 R Street, NW, Washington, DC 20009, USA, Tel +1-202-332-6986; Fax. +1-202-332-6989.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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