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ForschungsDienst Fahrrad


FDF 194 - 13.06.1993

URS HEIERLI: UMWELTBEZOGENE GRENZEN FÜR DIE MOTORISIERUNG

Das Fahrrad wird in der Dritten Welt systematisch unterschätzt

Wichtigstes Ergebnis: In den meisten Ländern der Dritten Welt wird systematisch unterschätzt, daß das Fahrrad die enorme Luftverschmutzung und Verkehrsprobleme wesentlich lindern kann. Deshalb wird vorgeschlagen, ein Modellvorhaben "Städte für Radfahrer" für die Länder des Südens zu fördern.

Zum Inhalt: In den meisten großen Städten der Dritten Welt ist die Luftverschmutzung unerträglich. In Delhi (Indien) tragen viele Polizisten im Dienst Gasmasken, und Mexiko City hat eine völlig abgasgeschwängerte Luft. Durch die zunehmende Verstädterung werden im Jahr 2000 mehr als 40 Städte über 5 Millionen Einwohner haben und unter Staus und Luftverschmutzung durch Verkehr unerträglich leiden. Auch weil der Verkehr entscheidend zur Klimärwärmung beiträgt, muß das durch Verkehr verursachte CO2 reduziert und sowohl im Norden wie in der Dritten Welt die Motorisierung wirksam begrenzt werden.

Je mehr die Länder des Nordens zeigen, daß sie zu wirklichen Veränderungen bereit sind, desto eher wird der Süden folgen. Dort spielt das Auto im Maßenverkehr ohnehin keine Rolle, und die meisten haben allenfalls die Chance, als Taxi- oder Busfahrer autozufahren. Die meisten Menschen haben überhaupt keine Verkehrsmittel, auch keine Fahrräder zur Verfügung, sondern gehen auch weite Wege zu Fuß.

Beispiele zeigen, daß das Fahrrad auch im Süden das ideale Verkehrsmittel für Großstädte wie für ländliche Gegenden ist. Gründe für die in vielen Ländern noch verbreitete Ignoranz sind fehlende Daten und die Komplexität der Zusammenhänge. In einigen Ländern sind Fahrräder aus traditionellen Gründen unbekannt, und besonders Frauen benutzen an vielen Orten der Welt aus kulturellen Gründen keine Fahrräder.

In der größten chinesischen Stadt Tinjian (8,5 Millionen Einw.) beispielsweise ist das Fahrrad das Massenverkehrsmittel. Dort werden 77% aller Fahrten mit dem Fahrrad unternommen. Weil solche Fahrradmassen zu Staus führen, wollen Planer den Fahrradverkehr dort beschränken und U-Bahnen bauen.

Hanoi hat 3 Mio. Einwohner und nur etwa 1000 Autos - für Radfahrer ein "Garten Eden", denn man kann in nur 30 Minuten quer durch Hanoi radeln. Gefahr droht allerdings durch den rapide wachsenden Mopedverkehr. In Bogota werden jeden Sonntag 80 km Alleen zu _Ciclovias Dominicales_, für Radfahrer reserviert. Dies ermuntert die städtische Mittelschicht zum Radfahren. Inzwischen beliefert auch eine Bäckerei ihre 22.000 Verkaufsstellen mit frischen Backwaren mit Dreirädern nach chinesischem Vorbild, weil motorisierte Lieferwagen im Stau stehen und nicht direkt vor den Läden parken könnten. In San Salvador nutzt die Firma Pepsi Cola dreirädrige Fahrräder im Lieferverkehr, weil diese wirtschaftlicher sind als Fünftonnenlaster und die selbe Anzahl von Flaschen zu einem Zehntel der Kosten verteilen können.

Die Verbreitung von Fahrrädern scheitert bislang aber auch an den durch die Außenhandelspolitik im Vergleich zum Auto hohen Preisen. In China kostet ein Fahrrad ein Monatsgehalt, in Afrika und Lateinamerika bis zu sechs Monatsgehälter. Allenthalben gibt es Kreditfinanzierungssysteme für Autos. In Ghana wurde auch ein Mietkaufprogramm für Fahrräder mit Unterstützung der Weltbank eingerichtet. Es ermöglicht Frauen, sich ein Fahrrad zu leisten.

Im Gegensatz zum Auto gibt es im Süden kaum Informationen über den Fahrrad-Boom der Länder des Nordens (OECD-Länder). Vorbildliche Vorhaben wie der _Bicycle-Master-Plan_ (Holland), das _Modellvorhaben Fahrradfreundliche Stadt_ (Deutschland) und Schweizer _Bike and Ride_-Konzepte sind unbekannt, und Planer mittlerer Großstädte der Dritten Welt haben nie etwas über Radfahrer und ihre Bedürfnisse gelernt.

Deshalb fordert Heierli, der auch ein Kompendium über Fahrräder und Dreiräder in Lateinamerika geschrieben hat und für eine Schweizer Entwicklungsorganisation in Bangladesch und Indien tätig ist, ein oder mehrere Modellvorhaben zum Fahrradverkehr für Städte in der Dritten Welt. Dabei sollen die Fahrradnutzung gefördert werden und die gewonnenen Erfahrungen nach dem methodischen Vorbild des deutschen Modellvorhabens "Fahrradfreundliche Stadt" ausgewertet und weltweit verbreitet werden.

Buch: "Environmental Limits to Motorisation. Non-motorised Transport in Developed and Developing Countries" (in engl.), von Urs Heierli, SKAT Swiss Centre for Development Cooperation in Technology and Management, St. Gallen 1993. ISBN 3-908001-41-2. 220 S., 35 SFr.

Autor: Dr. Urs Heierli, Swiss Development Co-operation (SDC), Kurierservice (New Delhi), EDA, CH-3003 Bern/Schweiz. Tel. +91-812-586043; Fax. +91-812-580587.

Bezugsquelle: SKAT-Bookshop, Vadianstraße 42, CH-9000 St. Gallen, Schweiz, Fax. +41-71-23 75 45.


Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.

Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (www.ecf.com) abonniert werden kann. werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail: office@ecf.com


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