SEHNSUCHT NACH DEN BERGEN...

Blick auf den Ortler

Reisebericht einer Alpendurchquerung mit dem Rad vom 28. Juli bis zum 17. August 1997



Schon lange plante ich, mit dem Rad einmal "richtig" in die Berge zu fahren. Tagestouren von Münster aus in die nahegelegenen Baumberge und den Teutoburgerwald sind zwar immer wieder reizvoll, bieten aber keine echte Herausforderung. So sollte mein diesjähriges Ziel die Alpendurchquerung von West nach Ost sein.

Gut beschildert: die Jura-Route Die Anfahrt Ende Juli 1997 mit dem EC "Verdi" (Dortmund-Milano) nach Basel verlief unproblematisch, das geräumige Fahrradabteil mit 16 Stellplätzen war trotz der Ferienzeit nicht ganz ausgebucht. Die ersten drei Tage wollte ich den leicht hügeligen Schweizer Jura zum Eingewöhnen nutzen. Steigungen von 5 - 10 % sind aber auch hier durchaus nicht selten. Über Delèmont, La-Chaux-de-Fonds und Vallorbe bin ich in drei Tagen zum Genfer See gelangt, der sich bequem mit einem Raddampfer abkürzen läßt. So blieb mir nach Montreux die stark befahrene Uferstraße erspart.
Das Rhônetal bot mir am nächsten Morgen leichten Nieselregen. Da der Radwanderweg entlang des Flusses bei dem Wetter nur wenig reizvoll war, wechselte ich in St.Maurice auf die Hauptstraße und geriet zufällig in ein Radrennen. Trotz mehrfacher Aufforderungen vorbeipreschender Rennradler, mitzufahren, mußte ich Haupt- und Verfolgerfeld passieren lassen, bevor die Streckenposten mich teilnehmen ließen. An eine abgesperrte Straße, gesäumt von beifallklatschenden Zuschauern, kann man sich durchaus gewöhnen! An diesem Tag fuhr ich mit 110 km die längste Etappe meiner Tour.
Der Abstecher zum Matterhorn am Ende des Mattertales erwies sich nicht nur durch die rund 1300 Höhenmeter als anstrengend, auch der Touristentrubel in Zermatt war gewöhnungsbedürftig! Die letzten 9 km dorthin sind allerdings für die Blechkarawane gesperrt. So konnte ich Zelt und Packtaschen in Täsch zurücklassen und mich ungewohnt "frei" auf der Straße nach Zermatt bewegen. Dort angekommen war die Enttäuschung über die Menschenmassen groß, Nippes-Shops und Burger-Grills säumen den Weg durch den Ort. Wenigstens kam hier die Sonne zwischen den ersten Wolkenlücken wieder hervor und gönnte mir einige Fotomotive vom Fuße des majestätischen Berges.
Nufenenpaßhöhe Tags darauf ging die Fahrt zunächst auf und ab durch das Mattertal, bevor ich zurück im Rhônetal voller Spannung meinem ersten Alpenpass entgegenstrampelte. Rechts und links rücken die Berge nun immer näher zusammen und lassen die Straße permanent ansteigen. Hinter Brig überholte mich Martin aus Odense/DK, der nach seiner achtwöchigen Tour über Norddeutschland, Amsterdam, Paris und dem Massif Central nun schon wieder Richtung Heimat radelte. Gemeinsam fuhren wir die Rhône weiter hoch und plauderten über unsere Reiserouten. Am frühen Nachmittag trennten sich leider unsere Wege. Während Martin noch den Furka-Paß bezwingen wollte, schlug ich mein Zelt auf dem Campingplatz in Ulrichen auf und sammelte meine Kraft für den Nufenen. Der Abend endete bei einer lustigen Unterhaltung mit meinen Zeltnachbarn, zwei niederländischem Rennradlern und einem dänischen Mountainbiker, abwechselnd auf deutsch, englisch und holländisch. Besondere Begeisterung erntete mein mounty-Steigungsmesser, der mir auf der gesamten Alpentour und bis heute treue Dienste geleistet hat. Die Fahrt auf den Nufenenpass sollte nur lächerliche 13 km von Ulrichen betragen, allerdings bei einem Höhenunterschied von 1100 m. Nur gut, daß die Sonne früh morgens noch nicht über den Bergen hervor kam, denn ins Schwitzen bin ich auch trotz der 12 ºC rasch gekommen... Vom höchsten Schweizer Pass (2478 m) hatte ich dann einen herrlichen Ausblick auf die schneebedeckten Gipfel von Finster-, Ober- und Lauteraarhorn. Hinab ins Tessin brauchte ich es auf den nächsten 60 km nur noch rollen lassen!
Der Lukmanierpass sollte mich am folgenden Tag mit einer sanfteren Steigung an den Vorderrhein bringen. Ein wenig verfluchte ich langsam meine 30 kg Gepäck, während etliche Rennradler locker an mir vorbeizogen und mir ein, zwei Stunden später in hohem Tempo wieder begegneten. So auch Rainer, der hier für einen Triathlon trainierte. Beeindruckt von meinem bepackten Drahtesel strampelte er mit mir ein zweites Mal den Pass hinauf. Bei einem Kaffee verabredeten wir uns für den übernächsten Tag zu einer weiteren gemeinsamen Passfahrt, bevor er zurück zu seinem Auto und ich hinab ins "Tal des Zitterns" schoß.
Die Etappe entlang des Vorder- und Hinterheins war ohne nennenswerte Steigungen fast wie ein "Ruhetag". Christian und Albert, zwei Reiseradler aus Erlangen, die ich beim Camping in Trun kennenlernte, erzählten beim Tee von ihren früheren Alpentouren. Sie empfahlen mir von Ilanz nach Bonaduz die Nebenstrecke, von deren Anhöhe ich einen eindrucksvollen Blick in die Rheinschlucht erhielt. Ihren eindringlichen Rat, weiter über das Hochplateau Lenzerheide zu radeln, ignorierte ich und folgte meinem geplanten Weg durch die Schinschlucht. Starker Verkehr und etliche Tunnel waren die "Strafe" für meine Sturheit!
Das Stilfser Joch In Filisur traf ich mich dann mit Rainer wieder. Zusammen bezwangen wir den Albulapass (2312 m) ins Engadin. Zugegeben: ein wenig komisch muß es schon ausgesehen haben, als eine Radlerin mit ihrem vollbepackten Rad von einem durchtrainierten Triathleten auf seiner 9,5 kg- Rennmaschine die Berge hinauf begleitet wurde... Aber eine Etappe "musste" ich mir einfach ohne Gepäck mit ihm gönnen: So warteten wir einen Tag Dauerregen ab und spurteten gemeinsam auf den Ofenpass (2149 m), wo er dann auch das Bild von mir mit Ausblick auf den Ortler machte.
Die nächste "Bergwertung" stand auf dem Weg ins Südtirol an: der Umbrailpass (2501 m) war zwar streckenweise geschottert, aber mit max. 10 % Steigung durchaus fahrbar. Langsam hatte ich mich wohl an die hohe Trittfrequenz im kleinsten Gang gewöhnt und genoß die längeren Aufstiege. Autofahrern und verbissenen Rennradlern bleiben doch die schönsten Eindrücke verwehrt!
Das Stilfser Joch Unmittelbar an den Grenzübergang schließt sich das Stilfser Joch an, das ich mit 2758 Höhenmetern als meinen höchsten Pass verzeichnen konnte. Lange mußte ich hier die gewaltigen Massive von Ortler und Trafoier Eiswand auf mich wirken lassen, bevor mir der Touristentrubel zuviel wurde. Wer kurvenreiche Straßen liebt, kommt in den berühmten 48 Kehren hinab ins Vinschgau auf seine Kosten. Doch bei 15% Gefälle sind gute Bremsen hier Pflicht!
Im Tal führt ein gut ausgeschilderter Radwanderweg autogenervte Biker entlang der Etsch nach Meran und weiter durch zahlreiche Apfelplantagen nach Bozen. Zu der im Reiseführer beschriebenen Altstadt lohnt sich tatsächlich ein kurzer Abstecher: die von Bogengängen eingefaßte Laubengasse läßt einen die Atmosphäre vergangener Zeiten spüren. Und die zahlreichen Straßencafès und Eisdielen wecken müde (Radler-)Lebensgeister für die abendliche Bergwertung auf die Seiser Alm...
Auf der Seiser Alm Die Seiser Alm im Naturpark Schlern ist mit ihren 60 Quadratkilometern das ausgedehnteste Almgebiet Europas. Der einzige Campingplatz dort oben ist sehr beliebt und war folglich belegt. Doch für mein Rad und Zelt fand sich noch ein Stückchen Wiese, so daß ich auf tausend Meter Höhe am Fuße der ersten Dolomitenausläufer die Abendstimmung erleben durfte. Die vermeintlich ebene Strecke über das Hochplateau erwies sich tagsdarauf als weitere "Trainingseinheit" wie das Bild beweist.....
Die nächsten zwei Tage führte mich die Route über das Sella-Joch und die Pässe Pordoi, Falzàrego und Tre-Croci durch eine bizarr geformte Felsenlandschaft. Erfreulicherweise sind hier die einzelnen Serpentinen bis zur Passhöhe mit Numerierungen und einer Angabe der jeweiligen Höhenmeter versehen. So kann man sich seine Kräfte besser einteilen und ohne große Anstrengung locker nach oben strampeln. Für ein paar Bilder der bekannten Drei Zinnen schlug ich mein Zelt in Misurina auf und gönnte mir die letzten Kilometer hinauf eine Fahrt ohne Gepäck. Die Straße führt nämlich auf den 8 km mit einer satten 16 %-Steigung zum verdienten Panoramablick! Durch die Sextener Dolomiten verließ ich diese einmalig-phantastische Gegend und rollte im Pustertal über die Grenze nach Österreich.
Allmählich ging mein Urlaub dem Ende entgegen. Letzter "Höhepunkt" sollte die Großglockner-Hochalpenstraße mit einem Abstecher zum Großglockner sein. Motorisierte Touristen zahlen hinter Heiligenbluth eine Mautgebühr, aber als Radfahrer darf man einen Bogen um das Kassenhäuschen machen. Am späten Nachmittag erreichte ich auf 2418 m die Franz-Josephs-Höhe, von der ein Blick auf 37 Dreitausender möglich ist ..., sofern nicht gerade ein Gewitter aufzieht! Mir war klar, daß ich meinen geplanten Campingplatz am Zeller See nicht mehr trocken erreichen würde, zumal es bis dahin noch weitere tausend Höhenmeter zu überwinden galt. Kurz entschlossen entschied ich mich, hier oben zu übernachten. Und da die Straße nachts von 22 bis 5 Uhr gesperrt ist, hatte ich keinen Autolärm zu befürchten. Vor einer Almhütte traf ich einen Bauer, auf dessen Wiese ich mein Zelt aufschlagen durfte. Bei Kaffee und frischem Kuchen erzählte ich ihm und seiner Familie am Abend noch von meiner Reise. Heftiges Donnergrollen und prasselnder Regen brachten mich in der Nacht aber nur wenig zum Schlafen, oder war es mein Lauschen nach "wilden" Tieren am Zelt?
Auf meinen letzten beiden Etappen folgte ich dem Tauern-Radweg nach Salzburg und saß genau drei Wochen nach meinem Start in Basel mit 1444 km mehr auf dem Tacho wieder im Zug nach Münster. Fazit meiner Reise: Leider meinen noch zu viele Menschen, man könne nur mit dem Auto die Berge hinauffahren, dabei sind die Alpen ein hervorragendes Eldorado zum Radeln, das ich nur weiterempfehlen kann.
Merke: Nach jeder Steigung folgt garantiert eine herrliche und zuweilen auch rasante Abfahrt!!!

(Dieser Bericht ist ebenfalls erschienen im Leezen-Kurier 4/97 des ADFC Münster/Münsterland)

Tourenverlauf
Tourenverlauf der Alpendurchquerung mit dem Rad

Noch Fragen??? A. Pühse, Dez. 1998

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